Rund um Berchtesgaden / Nationalpark Berchtesgaden
THOMAS HORNUNG (2022): Rund um Berchtesgaden – Kalkstein, Salz, Fossilien und Eiszeiten. – Reihe: Wanderungen in die Erdgeschichte, Band 40, 232 S., 274 Farbabbildungen, 11 Topogr. und 11 Geolog. Karten, 4 Geolog. Profile; München
ISBN: 978-3-89937-255-7, Preis: 35,00 €
THOMAS HORNUNG (2022): Nationalpark Berchtesgaden – Vom Tropenstrand zum Hochgebirge. – Reihe: Wanderungen in die Erdgeschichte, Band 41, 216 Seiten, 271 Farbabbildungen, 9 Topogr. und 9 Geolog. Karten, 5 Geolog. Profile; München
ISBN: 978-3-89937-274-8, Preis: 35,00 €
Im Rahmen der etablierten Reihe „Wanderungen in die Erdgeschichte“ hat der Münchner Verlag Dr. Friedrich Pfeil jüngst den Fokus auf die Südostecke Bayerns gerichtet: das Berchtesgadener Land mit dem Königssee inmitten einer Hochgebirgslandschaft. Traumland und Herausforderung für Wanderer und zugleich für den Autor, der in mehrjähriger Forschungsarbeit das bunte Puzzle von Geländebefunden aus einer Zeitspanne von 250 Millionen Jahren geologisch entschlüsselt hat und nun die Entstehungsgeschichte dieser alpinen Region auf seinen geologischen Wanderwegen anhand der Geländebefunde erklärend beschreibt.
Für die herausragende Anschaulichkeit sorgen textergänzende Blockbilder, Schemata, Querprofile, Schichtfolgen von Gesteinsserien und zahlreiche interpretierte Aufschluss- und Landschaftsfotos. Es werden auch thematische Karten mit Relief erfassenden LiDAR-Daten hinterlegt oder Panoramaaufnahmen mit deckentektonischen Großeinheiten überblendet, um Hauptstörungslinien, Gletscherströme oder Gebirgsdecken visuell zuordnen zu können. Zum hohen Aufwand gehört dazu, dass bei jeder Exkursion die Wanderroute in jeweils zwei größengleichen Kartenausschnitten – einer topographischen und einer geologischen Version – wiedergegeben wird.
Es war klug, all das auf zwei Bände aufzuteilen. Vor dem Exkursionsteil ist in Bd. 40 hat der Autor einen überaus wichtigen 60seitigen Abriss der Entwicklungsgeschichte des Naturraums vorgeschaltet. Nach einem topographischen Überblick zum Exkursionsgebiet wird die plattentektonisch bestimmte paläogeographische Entwicklung des Alpen-Orogens von der Trias bis ins Paläogen (Alttertiär) aufgezeigt. Dann geht es speziell um die Landschaftsgeschichte der Berchtesgadener Alpen, aufgeteilt in die Phasen Tropenmeer (Perm – Trias), Tiefsee (Jura – Unterkreide), Mittelgebirge (Oberkreide – Paläogen – Neogen) und Hochgebirge (Quartär). Hier werden die raumtypischen Geländebefunde der Exkursionen schon einmal entstehungsgeschichtlich grob verankert.
Im Band 40 führen zehn geologische Wanderungen durch Talungen und über Berghänge des Alpenrands zwischen Ramsau, Berchtesgaden und Hallein. Es beginnt mit einem geologischen Spaziergang in Berchtesgaden, einfachen Routen von Berchtesgaden zur Kneifelspitze (Würm-Glazial, Deckentektonik), nach Maria Gern (Salzbergwerk, Riß-Glazial, Gleitschollentektonik) oder zur Nordostwand des Dürreckberges (Gleitschollentektonik, Manganschiefer, Dachsteinkalk). Vom Parkplatz Königssee geht eine Tour hinauf zum Grünstein und weiter zur Archenkanzel (Rutschungen, Bergstürze, Würm-Glazial), zwei weitere führen von Ramsau zum Hintersee (Gletscherquellen, Deckengrenzen, Bergsturz, Nagelfluh) und ins Lattengebirge (Karst-Hochplateau aus Dachsteinkalk, Gosau-Meerestransgression, Epochengrenze Kreide/Tertiär). Zwei andere verlaufen entlang der bayerisch-österreichischen Grenze zwischen Oberau und Bad Dürrnberg (Fossilienfunde, Salzbergwerk) bzw. vom Purtschellerhaus zum Rossfeld (Gebirgsbildung). Eine Exkursion erschließt würmkaltzeitliche Spuren im Tal der Königsseer Ache.
Bereits im Sichtfeld dieser Tallagen und Vorberge verdeutlicht der Autor klar die wechselhafte Geschichte der marinen Sedimentfolge aus Trias und Jura. Die Entstehung der Gebirgsdecken im Rahmen der Alpenauffaltung beginnend in der Oberkreide mit dem Höhepunkt im Alttertiär (Paläogen) wird mittels revidiertem Deckenschema und strukturgeologischen Querprofilen längs und quer durch das Exkursionsgebiet nach neuestem Kenntnisstand anschaulich gemacht. Es wird dem Leser bewusst, wie Gesteine und Struktur der Decken, Faltungen und tektonische Hauptstörungen das Landschaftsrelief bestimmen. Ferner wird aufgezeigt, wo Massenbewegungen mit Felsstürzen und Murenabgängen bis heute vorkommen.
Band 41 konzentriert sich mit acht bestens dokumentierten Routen auf spektakuläre Ziele in Hochgebirgstälern und Bergmassiven des Nationalparks: Reiteralm, Hochkalter-Massiv, Hagengebirge, Watzmann-Massiv und Steinernes Meer. Wer sich mit Band 40 konditionell und thematisch warm gelaufen hat, ist also gut präpariert.
Der Autor beschreibt die schwieriger zu bewältigenden geologischen Routen im Exkursionsgebiet verantwortungsvoll und nennt offen die Risiken mancher Wegstrecken, wenn es über Gebirgsstöcke geht. Jeder Leser wird seine individuellen Schlüsse im Hinblick auf eigene Trittsicherheit, Kondition, Streckenlänge und aktuelle Witterungsbedingungen ziehen und ggf. die Möglichkeit einplanen, im Rahmen einer Tagestour aus einer mittleren Höhenstufe zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Ist das der Fall, hat der Leser das seltene Glück, sich anhand der kommentierten aussagekräftigen Landschaftsfotos des Buches, welche in den Hochlagen unter optimalen Bedingungen entstanden sind, ohne Stress in die Gipfelregion vertiefen zu können und an den geologischen Entdeckungen auf diesem Wege teilzuhaben.
Die am Hintersee bei Ramsau beginnende und zum Kammlinghorn hinaufführende Route L ist im Klausbachtal (tektonische Hauptstörung, „südostbayerisches Kleinkanada“, nacheiszeitliche Aufschotterung bis heute mit Berg- und Felsstürzen, Lawinen und Hochwässerabgängen) und über die Bindalm bis zur Mittereisalm (1384 m) gut begehbar.
Annähernd parallel dazu verläuft die Route O im Wimbachtal zwischen Hochkalter und Watzmann-Massiv. Nach der Wimbachklamm (Jura-Sedimente) geht es an Ablagerungen des spätglazialen Wimbachsees vorbei zum Wimbachschloss (markante Tektonik der Felswände), ins mittlere Wimbachgries (extreme Morphodynamik, Murschwemmkegel) und schließlich zur Wimbach-Grieshütte (1333 m) in Sichtweite des Bergsattels zwischen Watzmann-Massiv und Steinernem Meer. Hier heißt es „Einkehr, Rückkehr oder ruft der Berg?“.
Südlich des Königssees hat der Autor zwei hochalpine geologische Touren ausgearbeitet. Die Dreitages-Tour Q startet bei der erwähnten Wimbach-Grieshütte, führt über das Steinerne Meer (Karst-Altlandschaft) zum Großen Hundstod, hinunter zum Funtensee (wasserstauende Moränensedimente) und weiter durch die Saugasse nach Sankt Bartolomä am Königssee. Die viertägige hochalpine Rundtour R startet in Sankt Bartolomä, geht durch die Saugasse zum Kärlingerhaus, führt auf den Viehkogel (verkarstete und glazigen polierte Flächen im Dachsteinkalk, Deckenscholle über Dachsteinkalk) und anderntags weiter zum Funtensee (tektonische Mulde, Funtensee-Deckenscholle), dann über Rotkalk-Vorkommen der Adnet-Formation und schließlich auf extremer Route hinauf zum Stuhljoch und den Gipfelbereich des Funtenseetauern in 2523 m Höhe. Der Abstieg erfolgt über Grünsee und Obersee zur Schiffsanlegestelle Salet am Königsee.
Wer sich für spätrißzeitliche Hangschutt-Brekzien und würmzeitliche Lokalmoränen oberhalb des alpinen Eisstromnetzes interessiert, wählt am besten die erste Etappe der am Parkplatz Wimbachbrücke beginnenden Tour P, die bis zum Stubenalm-Plateau (1140 m) führt. Für ambitionierte Wanderer ginge es hier noch weiter über das Watzmannhaus hinaus.
Überaus empfehlenswert ist das Exkursionsgebiet am Jenner. Von der Bergstation (1802 m) der Jennerbahn führen die ersten vier Etappen der Tour N zum Jennergipfel, in die Torrener Joch-Zone (Tektonik), zum Pfaffenkegel (Verwitterungsformen des Karnischen Dolomits) und zur Scheffelspitze. Von hier aus wäre ein Abstieg zur Königstalalm möglich, wo man im auf die Exkursionsroute M wechseln könnte, die ins Priesberger Moos und dann zur Jennerbahn-Mittelstation (1185 m) führt.
Die beiden Bände wenden sich sowohl an Naturliebhaber mit Interesse am Werden dieser faszinierenden Naturlandschaft als auch an Geowissenschaftler. Wegen der Aktualität der Kenntnisstände und ihrer Vertiefung sowie der konsequenten Zuordnung aller Funde in räumliche und zeitliche Zusammenhänge führt dies legitimer Weise auch dazu, dass im Rahmen der Decken-Diskussion und bei besonderem Geländebefund auch gehaltvolle Abschnitte eingestreut sind, die auf die fachkundige Leserschaft abstellen.
Der großzügigen Ausstattung beider Bände, der klaren Auswertung der Geländebefunde der strukturgeologischen Zusammenschau sowie der Übertragbarkeit vieler Beobachtungen auf vergleichbare alpine Teilräume gebührt höchste Wertschätzung. Damit wird die geologisch-literarische Erfolgsgeschichte der „Wanderungen in die Erdgeschichte“ fortgeschrieben. Beiden Bänden ist eine weite Verbreitung zu wünschen, denn sie belegen, dass ein hochalpiner Nationalpark weit mehr ist als die Summe von Flora-Fauna-Habitaten, sondern auch ein geowissenschaftlich besonders wertvoller Raum.
Dr. Ulrich Hauner (München)